Jonathan Lethem »Du liebst mich, du liebst mich nicht«

18.07.2007 Sprache/Meta

Jonathan Lethem »Du liebst mich, du liebst mich nicht«Rezension

Uninspirierte Creative-writing-Prosa
Jonathan Lethems Roman »Du liebst mich, du liebst mich nicht«


„Es gibt keine Tiefe ohne Oberfläche“, heißt es programmatisch in Jonathan Lethems Roman „Du liebst mich, du liebst mich nicht“. Auch wenn man diesem Satz sofort zustimmt, weil es offensichtlich ist, dass erst die Oberfläche die Tiefe so richtig tief macht, so ist doch ebenso klar, dass deshalb das Gegenteil nicht auch schon stimmen muss – dass es keine Oberfläche ohne Tiefe gäbe.

Mit dieser inkohärenten Umkehrung des Satzes endet aber Lethems im Mai im Berliner Tropen Verlag auf Deutsch erschienener Roman (auch wenn er es selbst nicht merkt, weil er falsch formuliert, aber dazu am Ende der Rezension mehr). Es fällt schwer, darin nicht eine – schlecht begründete – Rechtfertigung seiner ästhetischen Mängel zu sehen.

Jonathan Lethem, Jahrgang 1964, lebt im New Yorker Stadtteil Brooklyn und gehört wie Jonathan Franzen, Richard Powers, David Foster Wallace und Jonathan Safran Foer zur mittleren Generation zeitgenössischer amerikanischer Autoren, die ihre Bücher zwischen Pop, modernen Erzählmustern und klassischem, plotfixiertem Story-Telling mit mehr oder weniger gelungener Psychologisierung der Figuren changieren lassen. Lethem zählt dabei zu den erfolgreichen, leider jedoch wenig komplex schreibenden Autoren – was Form und Stil betrifft, fühlt man sich als Leser daher reichlich unterfordert.

Das liegt zum einen am Erzähler, bei dem man sich bereits nach wenigen Seiten fragt, wie es – nach all den Eskapaden, Purzelbäumen und Irrfahrten der Moderne – dazu kommen konnte, dass da wieder jemand auftritt, als wäre nichts gewesen. Als hätte nur mal eben das Auge gezuckt, was jedoch weiter keine Bedeutung hat, dieses Erzählerobjektiv, das so fatal an das allwissende Auge Gottes erinnert.

Denn dieser Erzähler weiß alles über seine Figuren und präsentiert sein Wissen ohne Ironie, Irrwege und doppelten Boden – dazu in einer schlichten Sprache, die an den Stil uninspirierter Teilnehmer unkreativer Creative-Writing-Kurse erinnert (die Beschreibung mit Aufzählung verwechselt und eine Vorliebe für stickerartige Zuschreibungen hat, die die Imagination des Lesers töten).

Ein Erzähler, der massenweise Sentenzchen von sich gibt und alles ausschmückt mit banalen Details – und dem das alles nichts auszumachen scheint, da er nie sich selbst in den Blick bekommt, da er nichts über sich weiß. Umweg- und schnörkellos mag man das nennen. Die Oberfläche feiernd. Pop. Oder schlicht: langweilig.

Langweilig ist leider auch die Story – was auch nicht gerade zur Belebung des Lesers führt. Hauptfigur Lucinda Hoecke, Bassistin einer Band, jobbt tagsüber in einer Galerie, die sich der Konzeptkunst verschrieben hat: Über eine Nörgler-Hotline melden sich Leute, die über etwas zu jammern haben. Lucinda notiert in Stichpunkten die Beschwerden der Anrufer – vor allem die eines Mannes, der sich immer wieder meldet.

Und schon bald wartet sie darauf, seine Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören. Denn seinen Nörgeleien wohnt für sie eine Faszination, eine nicht genau zu definierende Energie inne, sie lauscht seinen Erzählungen über sexuelle Abenteuer, schreibt halbe Sätze nieder. Bei den abendlichen Proben mit den anderen drei Bandmitgliedern verwandeln sich die Satzfetzen, in plötzlicher von Lucinda überspringender Inspiration auf den Texter, Bedwin, in neue Songs.

Lucinda trifft Carl, den Stichwortgeber, kurz darauf leibhaftig, zwischen ihnen kommt es zur orgiastischen Vereinigung, die – wie das erste Glied einer Kettenreaktion – das gesamte Gefüge der Band zum Kippen bringt und sie in Ekstase versetzt. Auch beim ersten, alle mitreißenden Auftritt der Band ist Carl dabei – und er begreift, was geschehen ist: dass seine Sprüche sich in Songs verwandelt haben.

Nun beginnt eine sich über etliche Seiten hinziehende Diskussion der Bandmitglieder und Carls um Fragen der Urheberschaft des Erfolgs, nüchtern betrachtet: des Urheberrechts, die sich jedoch nicht losgelöst vom persönlichen Ineinanderverstrickt-Sein betrachten lassen. Wechselnde Bündnisse, Verführungen, Enttäuschungen.

Ein Känguru, dass Lucindas Ex und Sänger der Band, Matthew, aus dem Zoo, wo er jobbt, entführt hat, macht die Sache nicht gerade leichter – allerdings auch nicht komplizierter, da es derart überflüssig für die Story ist, dass es sich allein aus dem Grund ins Buch verirrt zu haben scheint, dem Roman noch einen kleinen netten Kick zu verpassen (und um Carls „Domina-Göttin“ einzuführen, na gut). Leider wirkt dieser Kick so aufgesetzt, als müsste dem Roman mit etwas Aufgedrehtem aufgeholfen werden, um seine langweilige formale Stringenz und seinen müde daher kommenden Inhalt mit einem Smily zu versehen.

Und wie das alles ausgeht? Carl, der Erfolgskatalysator, lässt die Band bei einem Radio-Gig durch seinen erzwungenen Mitauftritt clownesk scheitern, die vier Bandmitglieder fliegen auseinander und finden sich wieder als die alten, zusammengehörenden Paare, Bedwin und Denise, Lucinda und Matthew. Und Carl bekommt die Frau, die ihm gewachsen ist: Zoodirektorin (Domina) Dr. Rorschach.

Ach ja. Und am Ende, ganz am Ende, bevor dann unten auf der Seite „Ende“ steht (warum auch immer – wie im Film?, aufwachen?, The End? – dabei ist es wirklich schwierig, ein Buch schlafend zu lesen), sagt Lucinda zu Matthew: „Ich liebe es, dass du dünn bist.“ Darauf Matthew: „Das ist oberflächlich, Lucinda.“ Und Lucinda: „Es gibt keine Tiefe ohne Oberfläche.“

Was sagt sie? Es gibt keine Tiefe ohne Oberfläche? Aber ja. Nur meint sie eben das Gegenteil. Es gibt ohne Oberfläche keine Tiefe. Es gibt keine Oberfläche ohne Tiefe.

Finden Sie das logisch? Eben.


Jonathan Lethem: »Du liebst mich, du liebst mich nicht«. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Zöllner. Tropen Verlag, Berlin 2007. 250 Seiten, 19,80 Euro

Die Berliner Literaturkritik, 18. Juli 2007

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