Paul Klee »Handpuppen«

30.08.2007 Sprache/Meta

Paul Klee »Handpuppen«Rezension

Puppenspiele
Bei Hatje Cantz ist ein Bildband über die Handpuppen Paul Klees erschienen

Zwischen 1916 und 1925 fertigte Paul Klee für seinen Sohn Felix rund fünfzig Handpuppen, von denen sich dreißig erhalten haben. Der Verlag Hatje Cantz stellt sie in einem schön gestalteten Bildband vor. Eine von ihnen ist etwas ganz Besonderes: ein Selbstporträt Paul Klees

Das Selbstporträt ist eine der faszinierendsten Gattungen der Bildenden Kunst. Bereits für die Antike sind Selbstbildnisse literarisch bezeugt. Eine wahre Blüte erlebte die Darstellung der eigenen Physiognomie dann seit der Renaissance, als Ansehen und Selbstbewusstsein der Künstler wuchsen. Man denke nur an die Selbstbildnisse Dürers oder an das berühmte »Selbstbildnis im konvexen Spiegel« des genialisch-auftrumpfenden Parmigianino. Spätestens hier erhält das jetzt ganz aus sich selbst motivierte Bildthema den Charakter der Erforschung des eigenen Ichs, der Position beziehenden Selbstaussage und -deutung. Was die Stilisierung natürlich mit einschließt.

Ein Maler, der sich selbst darstellt, bewegt sich stets in einem doppelten Bezugssystem. Einerseits erforscht er sein Äußeres und das dahinter verborgene Innere und versucht es mit den ihm adäquat erscheinenden Mitteln zur Darstellung zu bringen. Andererseits steht er in der Reihe seiner Vorgänger und greift, ob bewusst oder unbewusst, ältere Formfindungen auf, variiert sie, entwickelt Thema und Technik. Er malt demnach nicht nur sein Porträt, sondern immer auch ein weiteres Bild in der Geschichte der Gattung Selbstporträt.

Diese doppelte Einbindung macht wohl auch die Faszination beim Betrachter aus. Denn er sucht ja nicht nur etwas über Aussehen und Charakter des Künstlers zu erfahren, sondern interessiert sich zugleich immer auch für die Mittel, die seiner Selbstdarstellung zugrunde liegen: Format, Farbwahl, Lichtverhältnisse, Technik – kurz, die verschiedenen gewählten Strategien, die zusammen das Raffinement oder die Schlichtheit der Inszenierung ergeben.

Das Thema hat auch die Künstler der Moderne beschäftigt. Unter ihnen gab es manische Selbstporträtmaler, wie Vincent van Gogh oder Max Beckmann, die wichtige Stationen ihres Künstlerlebenslaufes und ihrer Entwicklung in großformatigen Ölporträts festhielten. Und dann wieder den eher introvertierten Künstlertypus, der sich nur selten zur Darstellung des eigenen Gesichts entschloss.

Zu ihnen gehört auch Paul Klee. Umso mehr überrascht es, dass sich unter den Handpuppen, die er für seinen puppentheaterbegeisterten Sohn Felix seit 1916 schuf, ein Selbstporträt findet. Eine Rolle mag spielen, dass die Puppen dem privaten beziehungsweise halböffentlichen Gebrauch vorbehalten waren – Felix spielte mit ihnen nur vor Familienangehörigen und Freunden sowie einem vom Bauhaus her vertrauten Publikum. So blieb die Preisgabe der Sicht auf die eigene Person gewissermaßen geschützt.

Zugleich ist das Porträt jedoch, als Handpuppe in den Händen des Sohnes, der Inszenierung und dem interpretierenden Spiel eines anderen ausgesetzt – das macht dieses Selbstporträt zu etwas Einzigartigem, nicht nur in Paul Klees Œuvre.

Der Blick fällt zunächst auf den Kopf der Figur. Klee fertigte ihn aus Rinderknochen, die er mit Gips umgab, dann grundierte und bemalte. Das Ende eines größeren Knochens ragt am Kinn hervor und bildet dort die Spitze eines Ziegenbärtchens. Ein kleinerer Knochen dient als Grundlage für die Nasenpartie. Der obere Teil des Kopfes ist von einer Art Kosakenmütze bedeckt.

Für den Umhang der Puppe verwendete Klee eine abgetragene Anzugjacke. Dabei bezog er Säume, Nähte und Webkanten ein, ja sogar einen Flicken mit einem großen Loch setzte er auf den Stoff und umrandete ihn mit großen Stichen, als wollte er die Gebrauchsspuren noch hervorheben – ein nicht zu übersehender ironischer Zug.

Kleidung und Barttracht der Puppe entsprechen denen Klees zu Beginn der zwanziger Jahre, als er am Weimarer Bauhaus als Formmeister arbeitete. Auf einem Foto aus dem Winter 1922, das ihn zusammen mit der Sammlerin Emmy Scheyer zeigt, trägt er auch eine Kosakenmütze.

Den realistischen Grund verlässt die Puppe jedoch durch die großen ovalen Augen, die Klee ihr gemalt hat. Sie nehmen etwa den halben Kopfumfang ein und erzeugen einen starren, nach innen gerichteten Blick, den Blick eines Sehers. Diese Augen begegnen dem Betrachter auch auf der 1919, drei Jahre vor der Puppe entstandenen Zeichnung »Versunkenheit«, bei der es sich um ein Selbstporträt handelt. Allerdings sind die Augen hier geschlossen, als würde der Dargestellte meditieren oder in introspektiver Umkehrung der Wahrnehmung nach innen schauen.

»Diesseitig bin ich gar nicht fassbar«, zitierte Klees erster Monograph Leopold Zahn den Künstler im Vorwort zu seinem Buch. Und diese Tendenz zur Selbstmystifizierung ist auch der Puppe nicht abzusprechen. Klee inszeniert sich, indem er seine Erscheinung in Kopf und Gewand ins Fremdartige und Entrückte überhöht, wie in Text und Zeichnung auch in der Puppe als Heiligen, als weltabgewandten Mystiker. Das Fehlen der Ohren unterstreicht noch den Grad der Versunkenheit und die Unergründlichkeit der nach innen gerichteten Schau.

Leider ist nur wenig darüber bekannt, in welchen Stücken die Selbstporträt-Puppe auftrat und ob Sohn Felix bei seinem Spiel auf ihr entrücktes Erscheinungsbild Rücksicht nahm. Allerdings ist eine Szene vom Sonnwendfest des Weimarer Bauhauses aus dem Jahr 1922 überliefert, in der der Puppen-Klee von der zweiten Porträtpuppe der Sammlung, der Kunsthändlerin Emmy Scheyer (mit der Klee auf besagtem Winterfoto zu sehen ist) bedrängt wird, ein Bild des von ihr hochgeschätzten Malers Jawlensky zu kaufen. Als Klee sich weigert, schlägt Scheyer ihm das Bild – eine Kunstpostkarte – um die Ohren.

Das Stück soll bei den Zuschauern gut angekommen sein. Ob auch Vater Paul Klee die Szene mochte? Der Physiognomie seiner Puppe entspräche ein ruhiges Sitzen und Schauen. Diese »Tätigkeit« widerspricht aber allen Gesetzen des Puppentheaters, in der noch mehr, als auf der Menschenbühne, die Bewegung zählt. Er wird es gewusst haben. Aber seinem feinen Humor hat gerade dieses Paradox gefallen.


Paul Klee: »Handpuppen«. Herausgegeben vom Zentrum Paul Klee, Bern. Vorwort von Andreas Marti, Texte von Christine Hopfengart, Aljoscha Klee, Felix Klee, Osamu Okuda, Tilman Osterwold und Eva Wiederkehr Sladeczek. Mit 182 Abbildungen, davon 86 farbig. Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2006. 152 Seiten, 24,80 Euro

Die Berliner Literaturkritik, 30. August 2007

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